Axeman of New Orleans
Axeman of New Orleans – die Stadt des Jazz, des Karnevals und der kreolischen Lebensfreude – war einst Schauplatz einer Mordserie, so unheimlich und verstörend, dass sie bis heute Legenden nährt. Zwischen 1918 und 1919 hielt ein unbekannter Täter die Stadt in einem eisernen Griff der Angst. Er kam in der Nacht, lautlos wie ein Schatten, und schlug mit tödlicher Präzision zu – mit einer Axt. Seine Opfer: meist italienischstämmige Lebensmittelhändler und ihre Familien. Sein Motiv: ein Rätsel. Der Täter hinterließ keine klaren Spuren, stahl nichts, verschwand spurlos. Die Polizei stand vor einem Phantom, die Bevölkerung in heller Panik.
Doch der sogenannte „Axeman von New Orleans“ war mehr als nur ein Serienmörder. Er war ein Produkt seiner Zeit – einer Stadt im Umbruch, zerrissen zwischen Fortschritt und Vorurteilen, zwischen Jazz und Gewalt, zwischen Einwanderung und Misstrauen. Seine blutige Spur durch die Straßen von New Orleans lässt sich nicht nur kriminalistisch, sondern auch gesellschaftlich lesen: als Spiegelbild einer Ära voller Spannungen, Ängste und Mythen.
Was folgte, war ein Albtraum in mehreren Akten – mit falschen Verdächtigen, bizarren Briefen aus der „Hölle“ und einer ganzen Stadt, die in der Nacht Jazzmusik spielte, um einem Killer zu entkommen. Wer war dieser Axeman wirklich? Was trieb ihn an? Und warum hörten die Morde plötzlich wieder auf? Dieser True-Crime-Artikel zeichnet die Taten, die Ermittlungen und die Legenden rund um den Axeman in allen Details nach – in der Hoffnung, dem dunklen Herzen eines der rätselhaftesten Serienkiller Amerikas ein Stück näherzukommen.
Inhalt
Axeman of New Orleans – 1918-1919
New Orleans – die Stadt des Jazz, des Karnevals und der kreolischen Lebensfreude – war einst Schauplatz einer Mordserie, so unheimlich und verstörend, dass sie bis heute Legenden nährt. Zwischen 1918 und 1919 hielt ein unbekannter Täter die Stadt in einem eisernen Griff der Angst. Er kam in der Nacht, lautlos wie ein Schatten, und schlug mit tödlicher Präzision zu – mit einer Axt. Seine Opfer: meist italienischstämmige Lebensmittelhändler und ihre Familien. Sein Motiv: ein Rätsel. Der Täter hinterließ keine klaren Spuren, stahl nichts, verschwand spurlos. Die Polizei stand vor einem Phantom, die Bevölkerung in heller Panik.
Doch der sogenannte „Axeman von New Orleans“ war mehr als nur ein Serienmörder. Er war ein Produkt seiner Zeit – einer Stadt im Umbruch, zerrissen zwischen Fortschritt und Vorurteilen, zwischen Jazz und Gewalt, zwischen Einwanderung und Misstrauen. Seine blutige Spur durch die Straßen von New Orleans lässt sich nicht nur kriminalistisch, sondern auch gesellschaftlich lesen: als Spiegelbild einer Ära voller Spannungen, Ängste und Mythen.
Was folgte, war ein Albtraum in mehreren Akten – mit falschen Verdächtigen, bizarren Briefen aus der „Hölle“ und einer ganzen Stadt, die in der Nacht Jazzmusik spielte, um einem Killer zu entkommen. Wer war dieser Axeman wirklich? Was trieb ihn an? Und warum hörten die Morde plötzlich wieder auf? Dieser True-Crime-Artikel zeichnet die Taten, die Ermittlungen und die Legenden rund um den Axeman in allen Details nach – in der Hoffnung, dem dunklen Herzen eines der rätselhaftesten Serienmörder Amerikas ein Stück näherzukommen.
New Orleans im Jahr 1918: In den schwülen Nächten dieser Stadt erwacht eine namenlose Angst. In den verwinkelten Straßen und Vierteln, wo aus Saloons und Wohnzimmern der Klang des Jazz dringt, geht ein Mörder um. Er kommt lautlos im Schutz der Dunkelheit, bricht in friedliche Häuser ein und schlägt gnadenlos zu – mit einer Axt. Seine Opfer findet man blutüberströmt in ihren Betten. Kein Tresor ist geplündert, kein Schmuckstück gestohlen. Der Täter verschwindet ungesehen in die Nacht und lässt nur grauenvolle Szenen zurück. Die Zeitungen taufen ihn bald den „Axeman von New Orleans“, den Axt-Mann, und seine blutrünstige Serie versetzt die gesamte Stadt in Angst und Schrecken.
Dabei hatten die unheimlichen Ereignisse schon Jahre zuvor einen unheilvollen Anfang genommen. Bereits 1911 ereigneten sich in New Orleans und Umgebung grausame Überfälle, die man erst später mit dem Axeman in Verbindung bringen würde. Mehrere italienischstämmige Lebensmittelhändler und ihre Familien wurden damals im Schlaf angegriffen. Ein Kaufmann namens Cruti wurde mit einer Axt ermordet in seinem Bett aufgefunden. Kurz darauf fand man das Ehepaar Rosetti erschlagen vor; auch sie waren Lebensmittelhändler italienischer Herkunft. Und ebenfalls 1911 endete ein Angriff auf den Ladenbesitzer Toni Schiambra und dessen Frau tödlich – beide wurden mit einer Axt im eigenen Bett erschlagen. Diese frühen Bluttaten schürten Gerüchte: Handelte es sich um Mafia-Morde? Um Schutzgelderpressung der berüchtigten „Black Hand“, die in jenen Jahren in italo-amerikanischen Gemeinden ihr Unwesen trieb? Weil sämtliche Opfer dieser ersten Welle italienischer Abstammung waren, schien dies naheliegend. Doch Beweise dafür gab es keine, und nach 1911 kehrte erst einmal Ruhe ein. Die unheimliche Mordserie schien vorbei – vorerst.

Axeman of New Orleans – Der Anfang
Sieben Jahre später, im Frühjahr 1918, schlug der Schrecken mit aller Macht wieder zu. Am 22. Mai 1918 wird das Ehepaar Joseph und Catherine Maggio in ihrem Schlafzimmer im Stadtteil Uptown entdeckt – brutal ermordet. Joseph Maggio, ein italienischstämmiger Lebensmittelladen-Besitzer, liegt schwer verletzt und stirbt kurz darauf; seine Frau Catherine ist bereits tot. Ihre Kehlen wurden mit einem Rasiermesser durchgeschnitten, so tief, dass Catherines Kopf beinahe vom Rumpf getrennt ist. Anschließend hat der Täter mit einer Axt auf die Schädel der beiden eingeschlagen, offenbar um seine Spuren zu verwischen. Diese blutige Szenerie lässt selbst hartgesottene Polizisten erschauern. Nichts im Haus fehlt, Bargeld und Wertgegenstände liegen unberührt da. In der Nähe der Hintertür finden die Ermittler eine herausgebrochene Holzplanke – hier muss der Mörder eingestiegen sein, leise und behutsam. Daneben auf dem Rasen entdecken sie ein blutbeflecktes Rasiermesser, das dem Opfer Joseph Maggio gehörte. Schnell gerät Josephs eigener Bruder Andrew Maggio ins Visier: Er ist Friseur und das Messer stammt aus seinem Salon. Andrew wohnt in der Nachbarschaft und hatte in der Tatnacht angeblich nichts bemerkt – er gibt zu, schwer betrunken gewesen zu sein. Die Polizei findet es dennoch verdächtig, dass er weder das Aufbrechen der Tür noch die Schreie seiner sterbenden Verwandten gehört haben will. Unter Druck geraten, erzählt Andrew von einer mysteriösen Gestalt, die er in der Nähe des Hauses gesehen habe. Mangels Beweisen muss man ihn jedoch wieder laufen lassen. Der Mord an den Maggios bleibt ungeklärt – und ist erst der Anfang.
New Orleans hat zu dieser Zeit mit vielen Problemen zu kämpfen. Die USA stecken noch im Ersten Weltkrieg, überall herrscht Ungewissheit. In der Stadt leben zahlreiche Einwandererfamilien, vor allem aus Italien, die hier ihr Glück suchen. Doch Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile sind weit verbreitet. Italo-Amerikaner werden misstrauisch beäugt und oft pauschal kriminalisiert – schnell kommt bei Verbrechen der Verdacht auf „Mafia“ auf. Gleichzeitig macht sich das modernere Leben bemerkbar: Jazzmusik erobert die Tanzlokale, das Nachtleben pulsiert. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Als die schrecklichen Axt-Morde beginnen, greifen Angst und Misstrauen um sich. Insbesondere die italo-amerikanische Gemeinde fühlt sich ins Visier genommen. Familienväter sitzen mit geladener Schrotflinte in ihren Wohnzimmern und halten Nachtwache, entschlossen, ihre Lieben zu verteidigen. Die Polizei tappt im Dunkeln. Frank Mooney, der Superintendent der Polizei von New Orleans, mutmaßt bald, dass hier ein „blutrünstiger Irrer“ am Werk sein muss, jemand der Blutvergießen genießt und ohne Motiv tötet. In den Zeitungen wird spekuliert, ob ein wahnsinniger Serienmörder umgeht – ein Begriff, den man zwar noch nicht kennt, der aber die unheimliche Reihe von Verbrechen beschreibt.
Die Bevölkerung ist noch schockiert von dem grausigen Doppelmord an den Maggios, da meldet sich der Axtmann erneut zu Wort – durch Taten statt Worte. Am frühen Morgen des 28. Juni 1918 (einige Berichte nennen auch den 27. Juni) dringt der Täter in ein kleines Lebensmittelgeschäft an der Ecke Dorgenois und Laharpe Street ein. Im Hinterzimmer schläft der Ladeninhaber Louis Besumer mit seiner Lebensgefährtin Harriet Lowe. Plötzlich geht der Unbekannte mit einem Beil auf die Schlafenden los. Besumer erleidet einen Schädelbruch, Harriet Lowe wird ebenfalls schwer am Kopf verletzt – ein Hieb zertrümmert ihr Gesicht nahe dem linken Ohr. Trotz entsetzlicher Verletzungen überleben beide zunächst den Angriff. Am nächsten Morgen entdeckt ein Milchwagen-Fahrer die Blutflecken im Laden und findet das Paar in kritischem Zustand, aber lebend. Die Axt des Täters liegt in einem Badezimmer, achtlos zurückgelassen – sie gehört Louis Besumer selbst. Offenbar benutzt der Axeman bevorzugt die Werkzeuge seiner Opfer. Wieder fehlt von dem Eindringling jede Spur. Nichts ist gestohlen, wieder wurde die Hintertür aufgehebelt. Die Polizei ist ratlos, greift aber nach jedem Strohhalm: Noch am gleichen Tag verhaften die Beamten einen 41-jährigen Afroamerikaner namens Lewis Obicon, der kurz zuvor als Handlanger im Laden gearbeitet hatte. Man hat keinerlei Beweise gegen ihn, doch in der aufgeheizten Stimmung reicht es den Ermittlern, dass Obicon in seinen Aussagen zu seinem Alibi unsicher wirkt. Nach einigen Tagen muss die Polizei ihn wieder frei lassen – Obicon ist unschuldig, ein weiteres Bauernopfer der verzweifelten Ermittlungen.
Unterdessen erholt sich Harriet Lowe im Krankenhaus nur langsam. Sie gerät ins Zentrum eines Medienrummels, denn sie gibt von ihrer Krankentrage aus zahlreiche Interviews. Dabei sorgt sie für Skandale: Die Beziehung zwischen ihr und Louis Besumer ist pikant – sie ist nicht seine Ehefrau, sondern eine Geliebte. Die Presse stürzt sich darauf; in der prüden Zeit des frühen 20. Jahrhunderts ist das eine Sensation für sich. Doch Harriet macht auch widersprüchliche und bizarr anmutende Aussagen über die Tatnacht. Anfangs behauptet sie, ein „mulattischer“ Mann (also von gemischter schwarzer und weißer Abstammung) habe sie überfallen. Die Ermittler schenken dieser Aussage wenig Glauben – Harriet war schwer verletzt und könnte verwirrt gewesen sein. Später lenkt sie den Verdacht in eine ganz andere Richtung: Besumer selbst sei ein zwielichtiger Charakter, möglicherweise ein deutscher Spion! Hintergrund dieser Anschuldigung ist, dass man in Besumers Besitz einige Briefe in fremder Sprache gefunden hat. 1918 befindet sich Amerika im Krieg mit Deutschland, überall wittert man Verräter. Tatsächlich geht die Polizei dieser Fährte nach: Louis Besumer, der ebenfalls noch im Krankenhaus liegt, wird wegen Spionageverdachts festgenommen. Nach zwei Tagen lässt man ihn jedoch wieder frei – der Vorwurf ist haltlos. Harriet Lowe wird indes nie wieder völlig gesund. Im August 1918, etwa sechs Wochen nach dem Angriff, stirbt sie an den Folgen einer missglückten Operation. Doch vorher setzt sie noch ein dramatisches Zeichen: Auf ihrem Sterbebett beschuldigt sie plötzlich Louis Besumer, er selbst habe sie angegriffen. Besumer wird daraufhin wegen Mordversuchs an Harriet angeklagt und sogar für einige Monate ins Gefängnis gesteckt. Erst im Mai 1919 spricht ein Gericht ihn frei – nach nur zehn Minuten Beratungszeit. Harriet Lowes Wort galt letztlich als zu unglaubwürdig, als dass man dafür einen Mann zum Tode verurteilen konnte. So endet dieses bizarre Kapitel. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass der Axeman weiterhin frei umhergeht, während Unschuldige verdächtigt werden.
Die Angst geht um in New Orleans
Die Angst in der Stadt wächst mit jedem Tag. Anfang August 1918, kaum sechs Wochen nach dem Anschlag auf Besumer und Lowe, schlägt der Axeman erneut zu. In den frühen Morgenstunden des 5. August wird die 28-jährige Anna Schneider in ihrem Schlafzimmer überfallen. Ihr Ehemann Ed ist noch bei der Arbeit, als Anna – hochschwanger im achten Monat – plötzlich aus dem Schlaf schreckt: Ein dunkler Schatten steht über ihr, dann prasseln Schläge auf ihr Gesicht und ihren Kopf nieder. Anna bricht zusammen, schwer verletzt und blutüberströmt, doch irgendwie schafft sie es zu überleben. Ihr Mann findet sie gegen Mitternacht, als er heimkehrt – das Zimmer voller Blut, Anna kaum ansprechbar. Wie durch ein Wunder trägt das ungeborene Kind in ihrem Leib keinen Schaden davon; zwei Tage später bringt Anna Schneider im Krankenhaus ein gesundes kleines Mädchen zur Welt. Ihr eigenes Gedächtnis an die Tat bleibt jedoch ein schwarzes Loch – sie erinnert sich an nichts. Wieder haben die Ermittler kaum Anhaltspunkte. Fenster und Türen waren offenbar nicht aufgebrochen, was zunächst Rätsel aufgibt. Möglicherweise hatte man vergessen abzuschließen, oder der Täter war bereits vorher eingedrungen. Spuren deuten darauf hin, dass eine schwere Tischlampe das Schlagwerkzeug war, denn Annas Schädel weist Wunden auf, die zu dieser Lampe passen. Ein Verdächtiger wird festgenommen: James Gleason, ein Kleinkrimineller, der in der Gegend gesehen wurde. Doch auch ihm kann man nichts nachweisen – er wird bald freigelassen. Die Polizei beginnt allmählich öffentlich Parallelen zu den vorigen Fällen zu ziehen. Es lässt sich nicht länger leugnen: Ein Serienkiller geht um, und er hat erneut zugeschlagen.
Nur fünf Tage später, am 10. August 1918, geschieht der nächste Mord, der endgültig das Fass zum Überlaufen bringt. In einem kleinen Haus leben die Geschwister Mary und Pauline Bruno gemeinsam mit ihrem Onkel Joseph Romano, einem älteren Herrn, der als Barbier arbeitet. Mitten in der Nacht wecken Geräusche die Schwestern. Sie hören einen Tumult im Nebenzimmer, wo ihr Onkel schläft. Mary und Pauline stürzen hinein – und erstarren. Ihr Onkel liegt blutüberströmt am Boden, mit klaffenden Wunden am Kopf. In diesem Augenblick schiebt sich eine dunkle Gestalt an ihnen vorbei und flieht aus dem Haus. Die jungen Frauen können im Halbdunkel kaum etwas erkennen, doch eines beschreiben sie später übereinstimmend: Der flüchtende Angreifer ist ein stämmiger, kräftiger Mann mit dunklem Teint, bekleidet mit einem dunklen Anzug und einem Schlapphut auf dem Kopf. Joseph Romano lebt noch, als die Rettung eintrifft – er ist sogar so tapfer, dass er aus eigener Kraft zum Krankenwagen torkelt. Doch zwei Tage später erliegt Romano seinen schweren Schädelverletzungen. Auch in seinem Haus wurden Wertgegenstände liegen gelassen; allerdings bemerken die Ermittler, dass Schränke und Schubladen durchwühlt worden sind. War der Täter auf der Suche nach etwas Bestimmtem? Ein Motiv bleibt weiterhin schleierhaft. Im Hinterhof findet man eine blutige Axt. Die Hintertür des Hauses weist ein vertrautes Bild auf: Ein Holzpaneel wurde mit einem Meißel entfernt, genau wie bei den anderen Tatorten. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr, dass all diese Verbrechen zusammenhängen. New Orleans reagiert mit Panik. Der Mord an Romano, einem beliebten Nachbarn, und der unheimliche Anblick des unbekannten Axt-Mannes auf der Flucht verbreiten sich wie ein Lauffeuer. In den Zeitungen erscheinen reißerische Schlagzeilen, und Gerüchte kochen hoch. Vermutungen überschlagen sich: Handelt es sich doch um eine gezielte Jagd auf Italo-Amerikaner? Oder geht ein geisteskranker Einzelgänger um, der aus reiner Mordlust tötet? Überall in der Stadt wollen Leute plötzlich dunkle Gestalten gesehen haben, die durch Vorgärten schleichen oder auf Dächern lauern. Einige Bürger melden voller Alarm, sie hätten gefundene Äxte in ihren Gärten entdeckt – so als hätte der Axeman bereits seine Tatwerkzeuge deponiert. Wahrscheinlich stammen viele dieser Sichtungen und Funde aus der überreizten Fantasie angstgeplagter Menschen, doch die Polizei muss jedem Hinweis nachgehen. New Orleans befindet sich in einem Ausnahmezustand.
Zu diesem Zeitpunkt wagt ein ehemaliger Ermittler eine brisante Theorie. John Dantonio, ein pensionierter italienischstämmiger Detektiv, tritt an die Öffentlichkeit und erklärt, er sei überzeugt, dass derselbe Täter schon 1911 gemordet habe. Er erinnert an die ungeklärten Axt-Morde an italienischen Lebensmittelhändlern von vor sieben Jahren. Dantonio zeichnet sogar ein Profil des möglichen Mörders: Er spricht von einer Person mit gespaltener Persönlichkeit, ähnlich Dr. Jekyll und Mr. Hyde – ein Mensch, der ein unauffälliges normales Leben führen könnte, aber von Zeit zu Zeit von einem unstillbaren Drang zu töten überwältigt wird und dann zum Monster wird. Diese unheimliche Beschreibung passt in das Bild, das sich nun viele vom Axeman machen: ein unsichtbares Phantom, das unerkannt unter ihnen lebt und jederzeit wieder zuschlagen kann.
Doch nach dem Mord an Joseph Romano kehrt erst einmal eine eigenartige Ruhe ein. Die brutalen Überfälle scheinen plötzlich aufzuhören. Der Herbst 1918 bringt eine Atempause – so als habe der Axtmörder genug. New Orleans atmet zögerlich auf. Im November endet der Weltkrieg, die Stadt feiert den Sieg und das Waffenstillstandsende, und auch die verheerende Spanische Grippe, die in diesem Jahr wütet, überschattet zeitweise die Angst vor dem unbekannten Serienkiller. Manche hoffen, der Spuk sei endgültig vorbei. Vielleicht war der Mörder ja gefasst worden wegen einer anderen Straftat, oder er ist gestorben, oder hat die Stadt verlassen?

Der 10. März 1919 – der Axtmann ist zurück
Diese Hoffnung zerschlägt sich mit grausamer Wucht im folgenden Frühjahr. In der Nacht des 10. März 1919 dringt der Axeman abermals in ein Haus ein – diesmal auf der anderen Seite des Mississippi in der Vorstadt Gretna, direkt gegenüber von New Orleans. Sein Ziel ist die Familie Cortimiglia, italienische Einwanderer wie so viele seiner Opfer. Im Haus an der Ecke Jefferson Avenue und Second Street schlafen der Cortimiglia-Vater Charles, seine Frau Rosie und ihre zweijährige Tochter Mary. Plötzlich hallen Schreie durch die Nacht. Die Nachbarn, der Lebensmittelhändler Iorlando Jordano und sein 18-jähriger Sohn Frank, eilen alarmiert herbei. Vor ihren Augen bietet sich ein Bild des Schreckens: Die kleine Mary liegt reglos in den Armen ihrer Mutter – das Kind ist mit einem einzigen Axthieb an den Hinterkopf getötet worden. Charles und Rosie Cortimiglia leben noch, aber beide haben schwere Schädelbrüche erlitten und sind bewusstlos. Eine Axt, triefend vor Blut, liegt auf der Veranda; die Hintertür ist aufgestemmt, ein weiteres ausgesägtes Türpaneel zeugt vom Einstiegsweg des Täters. Die Familie Cortimiglia wird ins Krankenhaus gebracht, doch für die kleine Mary kommt jede Hilfe zu spät. Die Brutalität dieses Verbrechens erschüttert selbst hartgesottene Ermittler: Zum ersten Mal hat der Axeman ein Kind ermordet. Die Nachricht verbreitet sich rasch und versetzt ganz Louisiana in Entsetzen.
Diesmal sind sich die Behörden in New Orleans sicher: Es war erneut der Axeman. Doch die lokalen Ermittler in Gretna, allen voran Polizeichef Peter J. Lopez und Sheriff Louis Marrero, schlagen einen anderen Weg ein. Während Charles Cortimiglia nach zwei Tagen langsam genest und aus dem Krankenhaus entlassen werden kann, bleibt Rosie Cortimiglia noch schwer verletzt unter ärztlicher Aufsicht. Als sie wieder bei Bewusstsein ist, erhebt Rosie plötzlich einen unerwarteten Vorwurf: Ihr Nachbar Iorlando Jordano und dessen Sohn Frank – dieselben, die ihr zur Hilfe eilten – seien in Wahrheit die Angreifer gewesen. Diese Beschuldigung überrascht alle. Der 69-jährige Iorlando ist gebrechlich und gesundheitlich angeschlagen; es fällt schwer, sich vorzustellen, wie dieser alte Mann nachts eine Axt schwingen und drei Menschen überwältigen könnte. Sein Sohn Frank ist zwar jung und kräftig, aber über 1,90 m groß und korpulent – viel zu massig, um überhaupt durch das ausgesägte Türbrett zu passen, durch das der Täter offensichtlich gekrochen sein muss. Rosies Ehemann Charles ist fassungslos und bestreitet vehement, dass ihre freundlichen Nachbarn die Täter sein könnten. Er versucht, seine Frau zur Vernunft zu bringen, doch Rosie bleibt dabei: Die Jordanos seien schuldig. Vielleicht spielt bei ihrer Anschuldigung eine Rolle, dass die Cortimiglias und die Jordanos als Mitbewerber im Lebensmittelgeschäft standen – es gab wohl geschäftliche Spannungen. Möglicherweise ist Rosie in ihrem Schmerz und Zorn zu der Überzeugung gelangt, die Nachbarn hätten aus Neid und Konkurrenzdenken ihre Familie angegriffen. Die Gründe für ihre Behauptung bleiben im Dunkeln, doch die Folgen sind fatal: Die Polizei von Gretna nimmt Iorlando und Frank Jordano tatsächlich fest und klagt sie des Mordes an der kleinen Mary sowie des Angriffs auf Charles und Rosie an.
Ein Prozess beginnt, und obwohl die Indizien hinten und vorne nicht passen, werden die beiden unschuldigen Männer schuldig gesprochen. Frank Jordano erhält die Todesstrafe und soll gehenkt werden; sein betagter Vater wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Dieses Fehlurteil schockiert viele, doch Rosie Cortimiglias Aussage hat die Jury überzeugt – in jener Zeit misst man dem Eid einer „trauernden Mutter“ offenbar mehr Gewicht bei als logischen Zweifeln. Charles Cortimiglia ist von Rosies Sturheit so entsetzt, dass er sich kurz nach dem Prozess von ihr scheiden lässt. Fast ein Jahr vergeht, bis Rosie schließlich von ihrem ungeheuren Vorwurf Abstand nimmt: Geplagt vom Gewissen gesteht sie, dass sie die Jordanos aus Eifersucht und Verbitterung zu Unrecht belastet hat. Die beiden Männer werden sofort aus dem Gefängnis entlassen. Doch da ist der Schaden längst angerichtet – und der wahre Axeman weiterhin auf freiem Fuß.
Während dieses Justizdramas die Öffentlichkeit bewegt, meldet sich der Axeman selbst wieder zu Wort – auf unheimliche und spektakuläre Weise. Am 13. März 1919 erhält die Redaktion des New Orleans Times-Picayune, einer großen Tageszeitung, einen bizarren Brief. Er ist datiert auf „Hölle, den 13. März 1919“ und mit „The Axeman“ unterzeichnet. In diesem Schreiben, das am nächsten Tag tatsächlich abdruckt wird, behauptet der Verfasser, niemand werde ihn jemals fassen, da er nicht menschlich, sondern ein dämonischer Geist aus der Unterwelt sei. Spöttisch verhöhnt er die Polizei von New Orleans, die er als „dumm“ schilt, aber zugleich als klug genug bezeichnet, ihn in Ruhe zu lassen. Der Brief enthält eine konkrete Drohung: Am nächsten Dienstag, den 19. März, um 12:15 Uhr Mitternacht, so kündigt der Axeman an, werde er wieder durch New Orleans schweben und einen weiteren Mord begehen. Allerdings gibt er der Bevölkerung eine merkwürdige „Wahl“: „Ich bin sehr erpicht auf Jazz-Musik“, schreibt der unheimliche Verfasser sinngemäß, „und ich schwöre bei allen Teufeln, dass ich jedem das Leben schenke, in dessen Haus Jazz in voller Lautstärke gespielt wird. Wer am Dienstagabend keinen Jazz spielen lässt, der wird meine Axt zu spüren bekommen.“ Diese befremdliche Forderung – ein Killer, der die Stadt dazu auffordert, fröhliche Musik zu spielen, um verschont zu werden – versetzt New Orleans in helle Aufregung. Die Vorstellung, der Axeman könne tatsächlich ein Musikliebhaber sein, erscheint zwar grotesk, aber niemand wagt es, die Drohung auf die leichte Schulter zu nehmen. Zu frisch sind die Wunden der letzten Monate.
Was sich am Abend des 19. März 1919 abspielt, ist beispiellos in der Stadtgeschichte: Ganz New Orleans tanzt Jazz. In unzähligen Haushalten rücken die Menschen, trotz aller Angst, die Möbel beiseite, stellen Grammophone und Blechblasinstrumente bereit. Familien, Nachbarn und Freunde kommen zusammen, um gemeinsam Musik zu machen – nicht aus Freude, sondern aus Furcht um ihr Leben. Die Tanzlokale und Bars der Stadt sind überfüllt wie nie, jede Jazz-Band ist ausgebucht, jeder Saal ausverkauft. Ob Profi oder Amateur, überall erklingt in dieser Nacht Jazzmusik, mal wimmernd und sehnsuchtsvoll, mal ausgelassen und wild. Die ganze Stadt scheint in einem fiebrigen Improvisationsrausch, als ginge es darum, den Teufel selbst zu beschwichtigen. Und siehe da: In jener denkwürdigen Nacht bleibt es friedlich. Kein Mord geschieht um Mitternacht, kein neues Opfer wird am nächsten Morgen gefunden. Der Axeman, so scheint es, hat Wort gehalten – oder er hat nie vorgehabt, an diesem Abend zuzuschlagen, sondern sich lediglich an der Panik ergötzt, die er erzeugen konnte. Viele atmen auf, doch keinem ist wirklich zum Feiern zumute. Das unheimliche Spiel des Axeman hat die Stadt gedemütigt und zugleich auf makabre Weise vereint: Jazz, die Musik der afroamerikanischen Viertel, war durch einen Mörderzwang in jeden Haushalt gedrungen.
Nach dieser „Jazz-Nacht“ vergehen einige Monate ohne weitere Vorfälle. Es ist, als habe der Axeman seine Lust am Töten verloren – oder als liege er auf der Lauer. Doch die Serie ist noch nicht zu Ende. Im August 1919, fast ein halbes Jahr nach der letzten Bluttat, geschieht erneut ein Angriff. In der Nacht des 10. August wird der Lebensmittelhändler Steve Boca in seinem Schlafzimmer von einem dunklen Eindringling überrascht. Ehe Boca begreift, was geschieht, hat der Schatten bereits mit einer Axt zugeschlagen. Steve Boca erleidet einen Schädelbruch und verliert das Bewusstsein. Als er kurz darauf benommen wieder zu sich kommt, ist der Angreifer verschwunden. Boca, schwer verletzt und benommen, schleppt sich blutend aus seinem Haus auf die Straße. Er erreicht noch das Haus seines Nachbarn Frank Genusa, bevor er zusammenbricht. Zum Glück überlebt Boca den Angriff – doch wie so viele erinnert er sich hinterher an kaum etwas. Weder hat er den Täter klar gesehen, noch kann er Details beschreiben; nur eine dunkle Gestalt mit einer Axt scheinen in seinem Gedächtnis auf. Die Untersuchung ergibt: Wieder wurde kein einziger Wertgegenstand entwendet, und wieder hat der Täter sich über ein herausgesägtes Paneel an der Hintertür Zutritt verschafft.
Nur wenige Wochen später, in der Nacht des 3. September 1919, trifft es ein weiteres Opfer: die neunzehnjährige Sarah Laumann. Sie lebt allein in einer kleinen Wohnung. Nachbarn bemerken am nächsten Morgen, dass die junge Frau nicht wie gewohnt aus ihrem Apartment kommt. Besorgt brechen sie die Tür auf – und finden Sarah Laumann bewusstlos auf ihrem Bett liegend, das Gesicht zerschlagen, mehrere Zähne ausgeschlagen und den Schädel gebrochen. Sie hat furchtbare Kopfverletzungen, aber sie lebt. Neben dem Bett liegt eine blutige Axt, und ein offenes Fenster lässt ahnen, wie der Täter hereingelangte – diesmal ohne die Tür zu beschädigen. Sarah Laumann überlebt nach Tagen kritischen Zustands tatsächlich, doch auch sie kann später keinerlei verwertbare Hinweise liefern. An den Überfall hat sie keine Erinnerung.



Ende Oktober 1919 schlägt der Axeman ein letztes Mal zu – so zumindest die Überlieferung. Am 27. Oktober 1919 schreckt Esther Pepitone, die Ehefrau von Mike Pepitone, mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Sie hört ein seltsames Geräusch aus dem Schlafzimmer ihres Mannes. Mike Pepitone, selbst Lebensmittelhändler italienischer Herkunft, hat an diesem Abend in einem separaten Zimmer geschlafen – warum, ist nicht ganz klar; manche Quellen spekulieren über Ehestreitigkeiten oder einfach Platzmangel im Haushalt mit sechs Kindern. Als Mrs. Pepitone nun in das Zimmer eilt, bietet sich ihr ein Bild wie aus einem Albtraum: Überall spritzt Blut an den Wänden, sogar ein gerahmtes Bild der Jungfrau Maria ist mit roten Tropfen besudelt. Ihr Mann liegt reglos am Boden, der Schädel eingeschlagen von einer Axt. Im letzten Augenblick sieht Esther Pepitone noch einen großen Mann mit Axt aus dem Zimmer flüchten. Einige berichten später, sie habe gar zwei Gestalten fliehen sehen – möglicherweise spielte ihr die Verängstigung einen Streich, denn im Halbdunkel kurz nach dem Erwachen kann man sich leicht täuschen. Jedenfalls kann sie keinerlei Gesichtszüge oder weitere Merkmale beschreiben, nur die Körpergröße. Mike Pepitone stirbt kurz darauf, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen. Es ist der letzte offiziell zugeschriebene Mord des Axeman. Die blutige Serie, die New Orleans eineinhalb Jahre lang im Würgegriff hielt, endet so plötzlich und unerwartet, wie sie begonnen hat.
Nach dem Pepitone-Mord herrscht banges Fragen: War es das wirklich? Tatsächlich reißt die Kette der mysteriösen Axt-Angriffe ab November 1919 komplett ab. Keine weiteren ähnlichen Vorfälle werden in New Orleans oder Umgebung mehr bekannt. Der Spuk scheint vorbei. Die Stadt beginnt, ihre Normalität wiederzufinden, doch die Erinnerungen an die schrecklichen Nächte sitzen tief. Über anderthalb Jahre hat der Axeman mindestens sechs Menschen getötet – vielleicht mehr, falls man die frühen Fälle von 1911 dazu zählt – und etwa ebenso viele verletzt, einige davon lebensgefährlich. Die Opfer waren Männer, Frauen, sogar ein Kleinkind; überwiegend Familien mit italienischem Hintergrund, aber auch andere. Ganze Familien wurden ausgelöscht oder für immer gezeichnet. Und trotz intensiver Fahndung, trotz zahlloser Verhaftungen und Vernehmungen wurde niemals jemand für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Der Axeman blieb ebenso unsichtbar wie unerkannt.
Wer ist der Axeman of New Orleans?
Was folgte, waren Jahrzehnte der Spekulationen und Legendenbildung. Schon damals, unmittelbar nach den Taten, stritten die Menschen darüber, wer dieser unheimliche Axtmörder gewesen sein könnte und was ihn antrieb. Die naheliegende Vermutung der frühen Phase – ein Rachefeldzug oder eine Strafaktion der organisierten Kriminalität gegen aufmüpfige Geschäftsleute – ließ sich immer weniger halten. Zwar waren einige Opfer italienische Lebensmittelhändler, was in jene Theorie passte. Doch die Skrupellosigkeit, mit der auch Frauen und Kinder erschlagen wurden, passte nicht zur Mafia jener Zeit, die es mied, Unbeteiligte zu töten. Außerdem war New Orleans zwar einst ein Zentrum des organisierten Verbrechens gewesen, doch bis 1918 gab es dort keine bekannte Mafia-Struktur mehr. Auch hatte niemand im Umfeld der Opfer Erpresserschreiben oder Warnungen erhalten – die Black-Hand-Theorie blieb bloße Spekulation.
Andere waren überzeugt, ein irrer Einzeltäter sei am Werk gewesen – ein Serienmörder im modernen Sinne, getrieben von einem inneren Zwang. Diese Ansicht vertrat auch Polizeichef Mooney, als er von einem „mörderischen Degenerierten“ sprach, der an Blutorgien Gefallen finde. Manche Kriminologen vermuteten sogar, der Axeman habe vor allem Frauen im Visier gehabt und nur Männer getötet, wenn diese seine Pläne störten. In einigen Fällen – etwa bei Joseph Romano oder Mike Pepitone – traf es allerdings eindeutig die männlichen Opfer. Ein wirklich klares Muster bei der Opferauswahl ließ sich nie erkennen: alt oder jung, Mann oder Frau, arm oder mäßig wohlhabend, Italo-Amerikaner oder nicht – der Axeman schlug offenbar zu, wo sich Gelegenheit bot und wo Menschen in ihren Betten wehrlos waren.
Im Laufe der Jahre rückten einige Verdächtige ins Rampenlicht der Untersuchungen, doch keinem konnte man endgültig die Taten nachweisen. Die Polizei hatte zeitweise beinahe willkürlich Personen verhaftet – Obicon, der dunkelhäutige Gehilfe; Gleason, der vorbestrafte Herumtreiber; sogar Louis Besumer selbst – doch dies alles führte ins Leere. Nachdem das Grauen vorbei war, kamen Privatdetektive, Autoren und Hobby-Spürnasen auf eigene Theorien. Eine besonders bekannte Geschichte rankt sich um eine Person namens Joseph Monfre (oder Mumfre). Monfre, so erzählte man, sei ein Kleinkrimineller mit Verbindungen zur Unterwelt gewesen, der genau in das Raster passte: Angeblich habe er zwischen 1911 und 1918 wegen anderer Delikte im Gefängnis gesessen und auch nach den Morden von 1919 wieder im Zuchthaus eingesessen – was die langen Pausen in der Mordserie erklären würde. Noch spektakulärer ist das Ende dieser Legende: Esther Pepitone, die Witwe des letzten Axeman-Opfers, habe Monfre erkannt – als den Mann, den sie in der Mordnacht aus dem Schlafzimmer hatte fliehen sehen. In blinder Rache soll sie ihm nachgestellt und ihn schließlich am 2. Dezember 1920 in Los Angeles auf offener Straße erschossen haben. Diese dramatische Selbstjustiz einer trauernden Witwe machte in manchen Zeitungen die Runde und schien endlich einen Schlussstrich unter das Kapitel Axeman zu ziehen: Der Mörder war tot – und getötet von der Hand einer Frau, die er verwitwet hatte.

So eindrucksvoll diese Geschichte auch ist, sie musste später relativiert werden. Hartnäckige Journalisten und Autoren versuchten Jahrzehnte später, diese Darstellung zu untermauern, und durchkämmten Polizei- und Gerichtsakten in New Orleans wie in Los Angeles. Sie fanden heraus: Belege für einen Joseph Monfre oder Mumfre, der in Los Angeles 1920 erschossen wurde, lassen sich in offiziellen Archiven nicht auffinden. Es gibt weder einen Polizeibericht zu einer solchen Tat noch Unterlagen über einen Prozess gegen eine Mrs. Pepitone. Möglicherweise wurde der Name falsch überliefert oder frei erfunden. Fest steht: In New Orleans jener Zeit existierten tatsächlich Kriminelle mit dem Nachnamen Momfre/Mumfre – ein Name, der unter italienischstämmigen Einwohnern keineswegs selten war. Einer davon könnte mit dem Axeman in Verbindung gestanden haben, vielleicht als Erpresser oder Bandenmitglied. Doch alles, was über einen Joseph Mumfre und dessen eventuelle Erschießung bekannt ist, entstammt eher der Gerüchteküche denn verifizierten Fakten. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Episode um eine Legendenbildung, die im Nachhinein entstanden ist, um dem unbefriedigenden, offenen Ende der Axeman-Geschichte doch noch eine Art Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Eine andere Theorie, die erst in jüngerer Zeit aufkam, ist so skurril wie passend zu New Orleans: War der Axeman am Ende gar kein geisteskranker Triebtäter, sondern ein cleverer Geschäftsmann, der Jazzmusik promoten wollte? Der Historiker Richard Warner fand Hinweise auf einen gewissen Frank „Doc“ Mumphrey, der in New Orleans ein Jazz-Orchester sowie einen Schallplattenladen betrieb, das jedoch 1918 kurz vor dem Bankrott stand. Merkwürdigerweise florierte sein Geschäft plötzlich im Frühjahr 1919 – genau dann, als die halbe Stadt gezwungen war, Jazzplatten zu kaufen und Musiker zu engagieren, um die Drohung des Axeman zu erfüllen. Mumphrey, so heißt es, habe sich auch „Leon Manfre“ genannt – der Nachname ähnelt verdächtig dem ominösen Monfre/Mumfre. Sollte dieser Mann tatsächlich der Axtmörder gewesen sein, hätte er mit seinem teuflischen Brief eine ganze Stadt manipuliert, um die Nachfrage nach Jazzmusik hochzutreiben und Profit zu machen. So reizvoll diese Idee klingt, sie bleibt hochspekulativ und vermengt vermutlich Zufälle mit Verschwörungen.
Schlussendlich ist das Rätsel um den Axeman von New Orleans bis heute ungelöst. Die Identität des Täters ist unbekannt, und aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie es auch bleiben. Die Menschen jener Zeit mussten mit der quälenden Ungewissheit leben, dass ein Mörder entkam. Das Böse blieb ungesühnt, was vielleicht das unheimlichste an dieser Geschichte ist. Trotzdem hat die Figur des Axeman einen festen Platz im amerikanischen Mythenschatz gefunden. Bereits kurz nach den Morden verarbeitete man das Geschehene kulturell: Der Pianist Joseph John Davilla komponierte 1919 ein Jazz-Stück mit dem makabren Titel “The Mysterious Axman’s Jazz (Don’t Scare Me Papa)”, dessen Notenblatt eine verängstigte Familie beim Musizieren zeigt. In den folgenden Jahrzehnten tauchte der Axeman in zahllosen Artikeln, Büchern und Fernsehsendungen auf – als dunkle Legende aus dem alten New Orleans. Horror-Serien wie “American Horror Story” ließen ihn als schaurige Figur wiederauferstehen, Romane wie “Höllenjazz in New Orleans” erzählten die Geschichte fiktional neu, und bis heute analysieren True-Crime-Podcasts die Akten auf der Suche nach dem wahren Täter.
Ist der Axeman of New Orleans ein Phantom?
Rückblickend bleibt das Bild einer Stadt in Angst, die ein Phantom bekämpfte. Der Axeman von New Orleans kam des Nachts wie ein böser Geist, ermordete Unschuldige und verschwand wieder. Er nutzte die aufgeladenen Stimmungen – Fremdenhass, Kriegshysterie, Sensationslust – für sein grausames Spiel. Ob Wahnsinniger oder kalt berechnender Killer, ob Einzelgänger oder Teil eines Komplotts – wir werden es wohl nie erfahren. Doch die Geschichte seiner Taten, der improvisierten Jazz-Nacht und der fieberhaften Jagd nach einem unsichtbaren Feind wirkt bis heute nach. Sie erzählt von der dunkelsten Seite einer Stadt, die man sonst für Lebensfreude und Musik liebt – eine Geschichte so bizarr, blutig und unwahrscheinlich, dass sie bis ins Mark erschüttert und doch unheimlich fasziniert. New Orleans wird den Axeman nie vergessen, so wie man einen bösen Traum nicht ganz abschütteln kann. Die Legende vom unheimlichen Axtmörder aber ist Teil der Geschichte dieser vibrierenden Stadt geworden – ein wahrer Kriminalfall, der so unglaublich klingt, als entstamme er selbst dem düsteren Text eines alten, gespenstischen Jazz-Songs.